Spinnwirtel.
Der im Bereich der römischen Villa rustica von Reinheim gefundene Spinnwirtel besteht aus Hirschgeweih, hat einen Durchmesser von 3,3 cm und besitzt in der Mitte ein Loch. Ober- und Unterseite sind durch geometrischen Kreiseldekor, bestehend aus eingeritzten Halbkreisen und stilisierten Spindelabbildungen, verziert, der Rand durch gereihte Striche. Das Objekt datiert in das 4. Jh. n. Chr. und ist bis auf kleinere Abstoßungen/Beschädigungen gut erhalten.
Die Handspindel stellt die ursprünglichste Form eines Werkzeuges zum Verspinnen von Fasern dar. Eine Handspindel besteht aus einem stabförmigen Schaft mit einem Wirtel (auch Spinnwirtel oder Wirtelstein genannt) als Schwungmasse. Da der Spindelschaft meist aus vergänglichem Material (Holz) gefertigt war, der Wirtel hingegen eher aus unvergänglichem (Stein, Keramik, Knochen und Glas), wird aus archäologischen Funden flach-runder, gelochter Objekte auf die Verwendung von Handspindeln geschlossen. Eigenschaften eines Wirtels sind eine rotationssymmetrische Form, ein mittiges Loch senkrecht zur Rotationsebene, das groß genug ist, einen Spindelschaft hindurch stecken zu können, sowie eine gewisse Größe und ein gewisses Gewicht, welches für ein Funktionieren, das heißt für eine möglichst lange, gleichmäßige und taumelfreie Rotation nötig sind. In der Archäologie ist daher eine gelegentliche Verwechslung mit großen Perlen nicht ausgeschlossen. Belege von Spinnwirteln in der Levante stammen aus dem 8. Jahrtausend v. Chr., solche in Europa aus frühneolithischen Siedlungen in Griechenland (6. Jtsd. v. Chr.).
Die spätantike Nutzungsphase des Villenbereichs ist durch einen Funktionswandel und Repräsentationsverlust vieler Räumlichkeiten gekennzeichnet. Der Einbau von Öfen sowohl in das Haupt- als auch in die meisten Nebengebäude am Ende des 3. Jh. n. Chr. sowie das durch Gewerbe und Produktion geprägte Fundmaterial der etwa folgenden 70 Jahre lässt auf die Installierung von Werkstäten und die Aufgabe der Villa als herrschaftlichen Wohnsitz schließen. In diesen Fundzusammenhang gehört auch der Spinnwirtel.
Zur Villa:
Die Villa wurde in der Mitte des 1. Jh. n. Chr. ca. 300 m nördlich des kurz zuvor entstandenen vicus von Bliesbruck über einer Nekropole aus der späten Bronze- und Eisenzeit errichtet. Das ländliche Domizil weist eine Gesamtgröße von 7 ha auf und gliedert sich in einen herrschaftlichen Wohnbereich (pars urbana) mit Hauptgebäude und ein längsaxiales, von einer Mauer umschlossenes Hofareal (pars rustica)mit zwölf Wirtschaftsgebäuden (je sechs pro Seite). Dies entspricht einem charakteristischen Bautypus der gallischen und germanischen Provinzen, welcher im römischen Mutterland nicht vorkommt und auf einheimisch-keltische Traditionen zurückgeht. Bisher sind über 130 solcher Villenanlagen bekannt. Die Villa von Reinheim überragt die anderen lokalisierten Anwesen der Umgebung an Größe und Repräsentation und streicht so den privilegierten Status seiner Erbauer heraus (soziale Oberschicht Ostgalliens). Nach teilweiser Zerstörung und einem erweiterten Wiederaufbau zu Ende des 2. Jh. n. Chr. erreichte die Anlage ihren repräsentativsten und herrschaftlichsten Charakter. Durch die Germaneneinfälle in der zweiten Hälfte des 3. Jh. und der Mitte des 4. Jh. n. Chr. erfuhr die Villa zunächst Funktionsänderungen (siehe oben), bevor sie nach weiteren Zerstörungen ganz aufgegeben wurde.
Das Hauptgebäude weist einen H-förmigen Grundriss auf, erstreckt sich über 80 x 60 m und verfügte in seiner größten Ausbauphase im frühen 3. Jh. n. Chr. allein im Erdgeschoss über 50 Räumlichkeiten, die zusammen mit Gängen und Portiken eine Fläche von 2.550 m² einnahmen.
Der mauerumstandene Wirtschaftshof schloss sich südlich an das Hauptgebäude an, maß 300 x 135 m und nahm eine Fläche von 4,5 ha ein. Während sich an den Längsseiten parallel zueinander die jeweils sechs Nebengebäude reihten, befand sich in der Mittelachse im Süden ein Torhaus (Gebäude B1 - B13).