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Harmonium mit Hocker

Museum Handwerkerhof


Herstellung: um 1900
von: Spaethe als Hersteller
in: Ottweiler

Merkmale

Inventarnummer:
2017HWO0106
Anzahl:
1 Stück
Objektbezeichnung:
Harmonium mit Hocker
weitere Objektbezeichnung:
Saugwind-Harmonium nach ?amerikanischer Bauart?
Sachgruppe:
Maße:
Gesamt: B: 106,5 cm, T: 55,5 cm, H: 128 cm

Beschreibung

Harmonium mit Hocker

Bei dem vorliegenden Exponat handelt es sich um ein 106,5 cm breites, 55,5 cm tiefes und insgesamt 128 cm hohes Harmonium der Geraer Firma "Spaethe", welches, wie eine nachträglich angebrachte Messing-Plakette nahelegt, über den Leipziger Orgelhersteller "Bannicke" vertrieben und verkauft wurde. Das schätzungsweise um 1900 gebaute Saugwind-Instrumente nach "amerikanischer Bauart" besitzt zum beidfüßigen Bedienen der Schöpfbälge im Fußbereich zwei nebeneinander liegende Tretschemel/Schöpfpedale, eine fünf Oktaven umfassende Tastatur (61 Tasten) und 15 rundknopfige Register, die mit Aufschriften wie "Bass-Koppel", "Bass-Forte", "Aeols-Harfe", "Viola d?amour", "Viola", "Bassflöte", "Vox Humana", "Melodia", "Hohlflöte" und anderen beschriftet sind. Das hölzerne Gehäuse verdeckt den inneren Mechanismus mit Gebläse völlig. Unter und über der Tastatur ausgesparte Schalllöcher lassen den Klang jedoch nach vorne dringen.

Allgemein zum Harmonium:
Das Harmonium gehört als Instrument zu den Aerophonen, denn es ist ein Tasteninstrument, bei dem der Ton durch verschieden lange Durchschlagzungen (durchschlagende Zungenpfeifen) erzeugt wird, die von Luft umströmt in Schwingung versetzt werden. Ein ähnliches System der Tonerzeugung hat zum Bsp. auch das Akkordeon oder die Mundharmonika. Ein Harmonium besteht aus folgenden Hauptbestandteilen: dem Umbau (Gehäuse), dem inneren Mechanismus und dem Gebläse.
Da im Gegensatz zu den Pfeifen der Orgel die Zungen des Harmoniums mehr unharmonische Obertöne produzieren, wodurch ein weniger reiner Klang entsteht, versuchte man besonders beim Saugwindharmonium (amerikanisches System) durch enge Kanzellen diese Obertöne abzudämpfen. Dadurch erhält diese Art Harmonium einen weichen und summenden sowie orgelartigen Klang. Dagegen ist das Druckwindharmonium (französisches System) kräftiger und schärfer im Ton, womit es in der Klangfarbe mit einem Akkordeon vergleichbar ist. Bei beiden Systemen wird das Gebläse gleichermaßen mit den Füßen durch wiederholtes Niedertreten zweier nebeneinander liegender sogenannter Tretschemel/Schöpfpedale betätigt. Beim französischen System betätigen die Schemel Blasebälge (Schöpfbälge), welche einen Druckspeicher (Windmagazin) aufpumpen und somit (Über-)Druck erzeugen, das amerikanische System funktioniert dagegen entgegengesetzt. Mit Hilfe der Schöpfbälge wird Luft aus dem Windmagazin und der Windlade herausgepumpt, somit also ein Unterdruck erzeugt. Wie bei einer Orgel können Register einzeln oder gemeinsam gezogen werden und auch Oktavkoppeln sind möglich. Sowohl beim französischen als auch beim amerikanischen System sind die Zungen freischwingend in einem Metallrahmen befestigt. Während beim erstgenannten System in der Regel eine ganze Reihe von Zungen auf einer Platte befestigt sind, liegen beim amerikanischen System die Zungen in einzelnen Kanzellen. In Deutschland waren die meisten seit Ende des 19. Jh. angefertigten Harmonien Saugwind-Instrumente.
Durchschlagende Zungenpfeifen wurden erstmals durch Christian Gottlieb Kratzenstein im Jahr 1780 entwickelt, woraufhin noch vor 1800 erste Tasteninstrumente mit derartigen Rohrwerken wie Pianofortes und Orgeln entstanden. Die direkten Vorläufer des Harmoniums sind die Aeoline (1810 entwickelt) und die Physharmonika (1821), bei denen es sich um Instrumente mit zwei Schöpfpedalen, einer Tastatur von vier bis fünf Oktaven Umfang und in der Regel nur einer Reihe durchschlagender Zungen handelte. Seit dieser Zeit wurden verschiedenartige Harmonien gebaut. Seit ca. 1860 wurden auch als Pedalharmonium (Orgelharmonium) bezeichnete ein- und zweimanualige Harmonien mit Orgelpedal hergestellt, welche in erster Linie als Orgelersatz in Sakralräumen oder als häusliches Übungsinstrument für Organisten verwendet wurden. Eine Blüte erlebte das Harmonium gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jh., als es als Heimorgel und Hausinstrument des bürgerlichen Mittelstands, als Ersatz für Pfeifenorgeln in kleineren Kirchen, aber auch als Konzertinstrument genutzt wurde - in der westlichen Welt wurden um 1900 doppelt so viele Harmonien wie Klaviere verkauft. Wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der zerstörten Kirchen und Orgeln vielerorts als Notbehelf für musikalische Begleitung des Gemeindegesanges genutzt, wurde es mit dem Aufkommen elektronischer Klangerzeugung und spätestens seit der Verbreitung der elektronischen Orgeln aus dem Musikleben weitgehend verdrängt.

Allgemein zur Firma "Spaethe":
Das Unternehmen wurde 1858 von Wilhelm Spaethe d. Ä. in Gera (Thüringen) gegründet. Zu Anfang wurden Harmonika-Instrumente hergestellt, später auch Pianoforte, Kunstspielpianos und Flügel. Mit zunehmendem internationalem Erfolg wurden zudem Bandoneons gebaut, noch später auch "Sprechapparate". Die Firma wurde nach dem Tod ihres Gründers im Jahr 1878 zunächst von seinem Sohn Otto und später dessen Sohn Paul Spaethe weitergeführt. Wilhelm Ernst und Otto Paul Spaethe wurden als Gesellschafter der Firma zu "k.u.k. Hof-Pianoforte- und Harmoniumfabrikanten" für die Habsburger-Monarchie in Österreich-Ungarn ernannt, womit sich der Betrieb "Hof-Harmonium-Fabrik" nennen durfte. Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte sich das Unternehmen ab 1950 ganz auf das Restaurieren und die Reparatur von alten Möbeln. Seit 1992 hat Anne-Grit Kuhn die Geschäftsleitung - der heutige Name des nach wie vor Geraer Unternehmens lautet "Restaurationswerkstatt Wilhelm Spaethe sen. - Meisterbetrieb seit 1858".