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Skulptur / Plastik / Modell

Europäischer Kulturpark Reinheim


Herstellung: von bis

Merkmale

Inventarnummer:
2013REI0415
Anzahl:
1 Stück
Objektbezeichnung:
Skulptur / Plastik / Modell
weitere Objektbezeichnung:
Kopie einer Statue einer weiblichen Gottheit mit Begleitfigur; sog. "Fortuna von Reinheim" (Kybele mit Attis)
Sachgruppe:
Skulpturen (Statuen)
Material:
Sandstein (Original)
Technik:
gemeißelt
geschliffen
geglättet (Original)
Maße:
Gesamt: H: 82 cm

Beschreibung

Kopie einer Statue einer weiblichen Gottheit mit Begleitfigur (Kybele mit Attis); sog. "Fortuna von Reinheim".

Die originale Sandsteinstatue wurde im 19. Jh. während Grabungen des Historischen Vereins der Pfalz aus Speyer in der Reinheimer Flur "Heidenhübel", also im Bereich der Villa rustica, gefunden und befindet sich seither im Historischen Museum der Pfalz in Speyer.

Entgegen der alten Deutung als Fortuna dürfte es sich bei der 82 cm hohen Sandsteinfigur um die Darstellung der Kybele und ihren Begleiter Attis handeln. Von Letzterem haben sich nur die Füße erhalten. Der Mysterien- und Fruchtbarkeitskult stammte ursprünglich aus Phrygien in Kleinasien, gelangte über Griechenland bereits in der zweiten Hälfte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts nach Rom und fand in der römischen Kaiserzeit eine weite Verbreitung. Der griechische Begriff Kybele bedeutet "die große Göttermutter vom Berg" (zumeist gleichgesetzt mit der "magna marta").
Der Mythos:
Nach dem u.a. von Pausanias überlieferten Mythos schlief Zeus einmal auf dem Berg Agdos in Phrygien ein und ließ dabei seinen Samen auf den Felsboden fallen. An dieser Stelle wuchs daraufhin das Zwitterwesen Agdistis . Aufgrund seines furchterregenden Wesens und wurde er von den übrigen Göttern kastriert. Der so von seiner Männlichkeit befreite Agdistis wurde zur "Großen Mutter" Kybele - aus den abgetrennten Genitalien dagegen entstand Attis. Da Kybele und Attis aus einer Person hervorgegangen waren, zogen sie sich gegenseitig an.
Geraume Zeit lebten beide glücklich in den phrygischen Bergen, doch dann beschloss Attis, die Tochter des Königs von Pessinus zu heiraten. Während der Hochzeit erscheint jedoch die vor Eifersucht rasende Kybele am Hof und schlägt die Hochzeitsgesellschaft - und Attis selbst - mit Wahnsinn. Attis lief hinaus in den Wald, entmannte sich und verblutete. Kybele bat daraufhin Zeus, den Jüngling wieder zum Leben zu erwecken. Doch der gewährte lediglich, dass der Leichnam des Attis niemals verwesen sollte. Kybele bestattete Attis in einer Berghöhle in/bei Pessinus, setzte eine aus Eunuchen bestehende Priesterschaft ein und stiftete einen Kult der Beweinung mit einem jährlichen großen Fest.

Die Sandsteinfigur stammt aus dem 2./3. Jh. n. Chr. Kybele trägt meist als Attribut eine Krone in Form einer Stadtmauer auf dem Kopf (neben der Verkörperung der Fruchtbarkeit galt sie auch als Beschützerin der Städte)- diese ist bei vorliegendem Exemplar nur im unteren Teil erhalten. Als weiteres Attribut hält sie ein Füllhorn, womöglich mit Granatäpfeln gefüllt (Symbol für Fruchtbarkeit), in ihrem linken Arm. Die Göttin trägt über ihrem fülligen, matronenhaften Körper einen gegürteten Chiton mit Überschlag (kolpos) und einen tief herabhängenden Mantel.
Die Statue dürfte im Zusammenhang mit dem Häuslichen Kult gestanden haben und befand sich vermutlich in einem Hausaltar (Lararium) des Hauptgebäudes (pars urbana) der Villa.

Zur Villa:
Die Villa wurde in der Mitte des 1. Jh. n. Chr. ca. 300 m nördlich des kurz zuvor entstandenen vicus von Bliesbruck über einer Nekropole aus der späten Bronze- und Eisenzeit errichtet. Das ländliche Domizil weist eine Gesamtgröße von 7 ha auf und gliedert sich in einen herrschaftlichen Wohnbereich (pars urbana) mit Hauptgebäude und ein längsaxiales, von einer Mauer umschlossenes Hofareal (pars rustica)mit zwölf Wirtschaftsgebäuden (je sechs pro Seite). Dies entspricht einem charakteristischen Bautypus der gallischen und germanischen Provinzen, welcher im römischen Mutterland nicht vorkommt und auf einheimisch-keltische Traditionen zurückgeht. Bisher sind über 130 solcher Villenanlagen bekannt. Die Villa von Reinheim überragt die anderen lokalisierten Anwesen der Umgebung an Größe und Repräsentation und streicht so den privilegierten Status seiner Erbauer heraus (soziale Oberschicht Ostgalliens). Nach teilweiser Zerstörung und einem erweiterten Wiederaufbau zu Ende des 2. Jh. n. Chr. erreichte die Anlage ihren repräsentativsten und herrschaftlichsten Charakter. Durch die Germaneneinfälle in der zweiten Hälfte des 3. Jh. und der Mitte des 4. Jh. n. Chr. erfuhr die Villa zunächst Funktionsänderungen, bevor sie nach Zerstörungen ganz aufgegeben wurde.
Das Hauptgebäude weist einen H-förmigen Grundriss auf, erstreckt sich über 80 x 60 m und verfügte in seiner größten Ausbauphase im frühen 3. Jh. n. Chr. allein im Erdgeschoss über 50 Räumlichkeiten, die zusammen mit Gängen und Portiken eine Fläche von 2.550 m² einnahmen.

Literatur

Stinsky, Andreas: Die Villa von Reinheim. Ein ländliches Domizil der gallo-römischen Oberschicht, Mainz, 2016, S. 13, Abb. Nr. 7
Sarateanu-Müller, Florian: Die Villenanlage von Reinheim (=Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim. 2500 Jahre Geschichte. Dossiers d'Archéologie, Sonderheft Nr. 24), 2013