Statuette der Venus.
Die Statuette besteht aus hellem Terrakotta und ist ca. 16,5 cm hoch. Die Unterschenkel und Füße sind nicht erhalten. Sie wurde im Bereich des Hauptgebäudes der römischen Villa rustica gefunden. Es handelt sich um eine Abwandlung des Typus "Venus pudica". Die künstlerische Ausführung der Tonfigur ist ausgesprochen schlicht, die Ausformung der Einzelformen sehr summerisch. Die Statuette ist bis auf die fehlende untere Beinpartie gut erhalten.
Vorbild:
Die Aphrodite von Knidos ist eines der bekanntesten Werke des attischen Bildhauers Praxiteles. Die Statue entstand vermutlich zwischen 350 und 340 v. Chr. und begründet den Typus der Venus pudica in der antiken Kunst. Sie befand sich in einem Tempel in Knidos (Kleinasien). Die Statue war für ihre außerordentliche Schönheit berühmt, die von allen Seiten bewundert werden konnte (Rundansichtigkeit), sowie dafür, die erste lebensgroße Darstellung des nackten weiblichen Körpers in klassischer Zeit zu sein. Dargestellt war die Göttin, wie sie sich auf das rituelle Bad zur Wiederherstellung ihrer Jungfräulichkeit vorbereitet. In ihrer linken Hand hielt sie ihr Gewand, während sie mit der Rechten die Scham verbarg.
Neben zahlreichen großformatigen Kopien der Statue wurde die Venus in römischer Zeit auch als Motiv in der Kleinkunst berücksichtigt und mit preiswerten Materialien auch als Massenware produziert (Ton).
In Abwandlung des Originaltypus greift sich die Göttin der vorliegenden Terrakotta-Statuette mit ihrer Rechten ins Haar und bedeckt mit der linken Hand ihre Scham. Die Figur könnte in einem Hausaltar (Lararium) des Hauptgebäudes gestanden haben. Die Figur lässt sich nur allgemein in die römische Kaiserzeit bzw. die Nutzungsphase der Villa rustica von Reinheim (2. H. 1. Jh. bis 3./(4.) Jh. n. Chr.) datieren.
Venus war die römische Göttin der Liebe, des erotischen Verlangens und der Schönheit. Neben den vielen Formen der Verehrung, die Venus genoss und die dem griechischen Aphroditekult entsprachen, hat sie eine besondere Bedeutung als "Venus genetrix", das heißt als Stammmutter des römischen Volkes durch ihren Sohn Aeneas. Speziell das Geschlecht der Julier, das seine Abstammung von ihrem Enkel Iulus, dem Sohn des Aeneas, herleitete, verehrte sie als Stammmutter.
Zur Villa:
Die Villa wurde in der Mitte des 1. Jh. n. Chr. ca. 300 m nördlich des kurz zuvor entstandenen vicus von Bliesbruck über einer Nekropole aus der späten Bronze- und Eisenzeit errichtet. Das ländliche Domizil weist eine Gesamtgröße von 7 ha auf und gliedert sich in einen herrschaftlichen Wohnbereich (pars urbana) mit Hauptgebäude und ein längsaxiales, von einer Mauer umschlossenes Hofareal (pars rustica)mit zwölf Wirtschaftsgebäuden (je sechs pro Seite). Dies entspricht einem charakteristischen Bautypus der gallischen und germanischen Provinzen, welcher im römischen Mutterland nicht vorkommt und auf einheimisch-keltische Traditionen zurückgeht. Bisher sind über 130 solcher Villenanlagen bekannt. Die Villa von Reinheim überragt die anderen lokalisierten Anwesen der Umgebung an Größe und Repräsentation und streicht so den privilegierten Status seiner Erbauer heraus (soziale Oberschicht Ostgalliens). Nach teilweiser Zerstörung und einem erweiterten Wiederaufbau zu Ende des 2. Jh. n. Chr. erreichte die Anlage ihren repräsentativsten und herrschaftlichsten Charakter. Durch die Germaneneinfälle in der zweiten Hälfte des 3. Jh. und der Mitte des 4. Jh. n. Chr. erfuhr die Villa zunächst Funktionsänderungen, bevor sie nach Zerstörungen ganz aufgegeben wurde.
Das Hauptgebäude weist einen H-förmigen Grundriss auf, erstreckt sich über 80 x 60 m und verfügte in seiner größten Ausbauphase im frühen 3. Jh. n. Chr. allein im Erdgeschoss über 50 Räumlichkeiten, die zusammen mit Gängen und Portiken eine Fläche von 2.550 m² einnahmen.