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Säulenkapitell

Europäischer Kulturpark Reinheim


Herstellung: von bis

Merkmale

Inventarnummer:
2013REI0421
Anzahl:
1 Stück
Objektbezeichnung:
Säulenkapitell
Material:
Technik:
gemeißelt
geglättet
geschliffen
Maße:
Gesamt: D: 26,5 cm, H: 20 cm (max.)

Beschreibung

Bruchstück eines Kapitells.

Bei dem Bruchstück handelt es sich um den Rest eines Kapitells toskanischer Ordnung, das ursprünglich eine freistehende runde Säule, welche sich im Bereich des Hauptgebäudes (pars urbana) der Villa von Reinheim befand, bekrönte. Hier wiesen vor allem die auf der Nord- und Südseite sich befindlichen Portiken Säulenstellungen auf. Das im Querschnitt etwa halbkreisförmige Bruchstück einer ursprünglich wohl runden Säule hat bei einem maximalen Durchmesser von etwa 26,5 cm noch eine Höhe von ca. 20 cm - es besteht aus grauem Sandstein. Zu erkennen sind eine nur wenig ausladende, durch mehrere flache Wülste profilierte Echinus-Zone (mehrere ringförmig eingeschnittene Kerblinien, konvexe und konkave Reliefierungen) und Teile des darüber sitzenden, ursprünglich quadratischen Abakus??. In seiner Anlage entspricht das Kapitell nicht streng den kanonischen Formen eines toskanischen Kapitels. Zum ursprünglich angearbeiteten Säulenhals, dem Hypotrachelion, befindet sich eine unregelmäßige Abbruchstelle. Wahrscheinlich waren das Kapitell und die zugehörige, verlorene Säule - vermutlich mitsamt der ebenfalls verlorenen Basis - aus einem Werkstück gefertigt.

Das Bruchstück weist viele Bestoßungen und Abbruchstellen auf - ein großer Teil des Kapitells und des Rand des ursprünglich quadratischen Abakus fehlen. Das Kapitell kann nur allgemein in die Römische Kaiserzeit bzw. die mittlere Nutzungsphase der Villa datiert werden (2./3. Jh. n. Chr.).

Zur toskanischen Säulenordnung:
Die toskanische Ordnung (auch Rustika, tuskische oder etruskische Ordnung genannt) ist eine der fünf klassischen Säulenordnungen, in deren Hierarchie sie den untersten Platz einnimmt. Somit wurde sie auch in der mehrstöckigen Fassadengestaltung für das unterste Stockwerk verwendet. Die toskanische/etruskische Ordnung entstand unter griechischem Einfluss als eine abgewandelte Variante der dorischen Ordnung. Mit der Eroberung der etruskischen Gebiete durch die Römer ab dem 3. Jh. v. Chr. wurde die etruskische Ordnung weiterentwickelt und als tuskische oder toskanische Ordnung Bestandteil der römisch-antiken Architektur. Die toskanische Ordnung weist als reine Säulenordnung keine Ausbildung eines besonderen Gebälks auf und folgt in ihrem Aufbau grundsätzlich der dorischen Ordnung. Allerdings besitzt die toskanische Säule im Gegensatz zur dorischen eine Basis, die (nach Vitruv) aus einer runden Plinthe und einem einfachen Wulst besteht. Am Säulenschaft fehlt meist die Kannelierung, unterhalb des Kapitells befindet sich ein Halsring. Das dorisch beeinflusste Kapitell ist in der Regel schmucklos und weist einen nur gering ausladenden Echinus mit abschließendem Abakus auf. Das darüber folgende Gebälk war, wie allgemein bei den griechischen Frühformen, anfangs aus Holz und erst später in Stein ausgeführt.

Zur Villa:
Die Villa wurde in der Mitte des 1. Jh. n. Chr. ca. 300 m nördlich des kurz zuvor entstandenen vicus von Bliesbruck über einer Nekropole aus der späten Bronze- und Eisenzeit errichtet. Das ländliche Domizil weist eine Gesamtgröße von 7 ha auf und gliedert sich in einen herrschaftlichen Wohnbereich (pars urbana) mit Hauptgebäude und ein längsaxiales, von einer Mauer umschlossenes Hofareal (pars rustica)mit zwölf Wirtschaftsgebäuden (je sechs pro Seite). Dies entspricht einem charakteristischen Bautypus der gallischen und germanischen Provinzen, welcher im römischen Mutterland nicht vorkommt und auf einheimisch-keltische Traditionen zurückgeht. Bisher sind über 130 solcher Villenanlagen bekannt. Die Villa von Reinheim überragt die anderen lokalisierten Anwesen der Umgebung an Größe und Repräsentation und streicht so den privilegierten Status seiner Erbauer heraus (soziale Oberschicht Ostgalliens). Nach teilweiser Zerstörung und einem erweiterten Wiederaufbau zu Ende des 2. Jh. n. Chr. erreichte die Anlage ihren repräsentativsten und herrschaftlichsten Charakter. Durch die Germaneneinfälle in der zweiten Hälfte des 3. Jh. und der Mitte des 4. Jh. n. Chr. erfuhr die Villa zunächst Funktionsänderungen, bevor sie nach Zerstörungen ganz aufgegeben wurde.
Das Hauptgebäude weist einen H-förmigen Grundriss auf, erstreckt sich über 80 x 60 m und verfügte in seiner größten Ausbauphase im frühen 3. Jh. n. Chr. allein im Erdgeschoss über 50 Räumlichkeiten, die zusammen mit Gängen und Portiken eine Fläche von 2.550 m² einnahmen.

Literatur

Stinsky, Andreas: Die Villa von Reinheim. Ein ländliches Domizil der gallo-römischen Oberschicht, Mainz, 2016
Sarateanu-Müller, Florian: Die Villenanlage von Reinheim (=Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim. 2500 Jahre Geschichte. Dossiers d'Archéologie, Sonderheft Nr. 24), 2013