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Fibel

Europäischer Kulturpark Reinheim


Merkmale

Inventarnummer:
2013REI0370
Anzahl:
1 Stück
Objektbezeichnung:
Fibel
weitere Objektbezeichnung:
Hülsenscharnierfibel
Sachgruppe:
Kleidung (Zubehör, Fibeln)
Material:
Technik:
gegossen
Maße:
Gesamt: L: 5 cm

Beschreibung

Hülsenscharnierfibel.

Die Fibel wurde im Zuge der Ausgrabungen im Bereich des Wirtschaftshofes (pars rustica, Stickung der Umfassungsmauer zwischen den Nebengebäudes B4 und B5) der römischen Villa in Reinheim gefunden.

Es handelt sich um eine Hülsenscharnierfibel (Heynowsky Typ 4.3) - evtl. um eine Variante des Riha Typs 5.15 (nielloverzierte Scharnierfibeln), nämlich ein Exemplar ohne ebendiese Niellierung, sondern mit einer einfacheren Art von Verzierung in Form von Punzmustern auf dem Fuß und als Profilierung Längsrillen auf dem bandförmigen Bügel, oder - in einigen Details - um den Riha-Typ 7.16 (gleichseitige Scheibenfibel).
Die Hülse des Scharniers wird in beiden Fällen aus dem zu zwei rechteckigen Lappen ausgezogenen Bügel-/Halses gebildet - die Lappen werden zu zwei Blechröhren eingerollt, zwischen denen sich ein Schlitz befindet. Die Nadel mit gelochtem Kopf wird in den Schlitz eingesetzt und mit einer Achse arretiert. Ein charakteristisches, nur bei Typ 5.15 vorkommendes Merkmal ist die kammförmige Querleiste am Fibelhals. Der gerade ansteigende Bogen des Fußes und Bügels knickt in einer weiten Biegung zum Hals hin ab.
Als Besonderheit - und diese lässt auch bedingt eine Identifizierung der Fibel als eine gleichseitige Scheibenfibel zu - weist das vorliegende Exemplar auf beiden Seiten des Bügels jeweils einen halbkreisförmigen Bogensteg mit mehreren kurzen, strahlenförmigen Fortsätzen auf. (Diese wirken in der Draufsicht wie zwei riesige Augen, haben allerdings nichts mit den eigentlichen Augenfibeln gemein - bei Augenfibeln handelt es sich um Spiralfibeln mit einem entenschnabelförmigen Fuß, bei denen die kleinen Augenbohrungen am Halsansatz direkt oberhalb der Spiralkonstruktion sitzen.)
Gleichseitige Scheibenfibeln (Heynowsky Typ 4.2.2., Exner Gruppe II, Riha Typ 7.16):
Unter diesen Typ fallen alle - in ihren Ausführungen sehr variationsreichen - Fibeln, die in ihrem Aufbau durch zwei Symmetrieachsen bestimmt sind und deren eine, meist die längere Achse durch Fortsätze hervorgehoben ist. Im vorliegenden Fall existiert allerdings nur eine symmetrische Achse, nämlich die Längsachse. Zudem besitzen gleichseitige Scheibenfibeln ein Backen- und kein Hülsenscharnier.
Der durch eine Querprofilierung vom Bügel abgesetzte Fuß läuft mehrfach konvex-konkav geschwungen zum Ende hin spitz zu und ist mit linear-geraden und spiralförmigen Punzmustern verziert. Der Fussknopf ist nur auf der Oberseite ausgebildet. Der Nadelhalter ist dreieckig und gefüllt.

Nach Riha gehören Fibeln des Typs 5.15 (nielloverzierte Scharnierfibeln) in das 1. Jh. und den Anfang des 2. Jh. n. Chr.; der Typ 7.16 (gleichseitige Scheibenfibel) kommt in vielen Variationen vom Ende des 1. Jh. bis zum Anfang des 3. Jh. n. Chr. vor.
Die Fibel weist leichte Korrosionsspuren auf - die Nadel fehlt. Ansonsten ist das Objekt gut erhalten.

Bei Fibeln handelt es sich um Gewandspangen - mit ihnen wurden in der Antike Gewänder zusammengehalten. Sie gehörten sowohl bei Frauen als auch bei Männern zur alltäglichen Tracht und fanden dementsprechend allgemeine Verbreitung. Über ihre rein praktische Funktion hinaus waren sie in ihren stilistischen Ausformungen nach Typ und Aussehen wechselnden Modeerscheinungen unterworfen, weshalb sie sich sehr gut zur Datierung entsprechender Fundschichten und Fundzusammenhänge eignen.

Zur Villa:
Die Villa wurde in der Mitte des 1. Jh. n. Chr. ca. 300 m nördlich des kurz zuvor entstandenen vicus von Bliesbruck über einer Nekropole aus der späten Bronze- und Eisenzeit errichtet. Das ländliche Domizil weist eine Gesamtgröße von 7 ha auf und gliedert sich in einen herrschaftlichen Wohnbereich (pars urbana) mit Hauptgebäude und ein längsaxiales, von einer Mauer umschlossenes Hofareal (pars rustica)mit zwölf Wirtschaftsgebäuden. Dies entspricht einem charakteristischen Bautypus der gallischen und germanischen Provinzen, welcher im römischen Mutterland nicht vorkommt und auf einheimisch-keltische Traditionen zurückgeht. Bisher sind über 130 solcher Villenanlagen bekannt. Die Villa von Reinheim überragt die anderen lokalisierten Anwesen der Umgebung an Größe und Repräsentation und streicht so den privilegierten Status seiner Erbauer heraus (soziale Oberschicht Ostgalliens). Nach teilweiser Zerstörung und einem erweiterten Wiederaufbau zu Ende des 2. Jh. n. Chr. erreichte die Anlage ihren repräsentativsten und herrschaftlichsten Charakter. Durch die Germaneneinfälle in der zweiten Hälfte des 3. Jh. und der Mitte des 4. Jh. n. Chr. erfuhr die Villa zunächst Funktionsänderungen, bevor sie nach Zerstörungen ganz aufgegeben wurde.
Der mauerumstandene Wirtschaftshof schloss sich südlich an das Hauptgebäude an, maß 300 x 135 m und nahm eine Fläche von 4,5 ha ein. Während sich an den Längsseiten parallel zueinander die jeweils sechs Nebengebäude reihten, befand sich in der Mittelachse im Süden ein Torhaus (Gebäude B1 - B13).

Literatur

Riha, Emilie: Die römischen Fibeln aus Augst und Kaiseraugst, 1979, S. 148-152
Heynowski, Ronald: Fibeln. erkennen - bestimmen - beschreiben (=Bestimmungsbuch der Archäologie, 1), Berlin - München: Deutscher Kunstverlag, 2012, S. 133
Stinsky, Andreas: Die Villa von Reinheim. Ein ländliches Domizil der gallo-römischen Oberschicht, Mainz, 2016
Sarateanu-Müller, Florian: Die Villenanlage von Reinheim (=Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim. 2500 Jahre Geschichte. Dossiers d'Archéologie, Sonderheft Nr. 24), 2013