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Gefäß

Europäischer Kulturpark Reinheim


Merkmale

Inventarnummer:
2013REI0441
Anzahl:
1 Stück
Objektbezeichnung:
weitere Objektbezeichnung:
Kopie der keltischen Röhrenkanne
Material:
Zinn (-Kupferlegierung)
Technik:
gegossen
genietet (und gelötet)
Maße:
Gesamt: H: 51,4 cm, D: 23,2 cm (max. am Bauch)

Beschreibung

Kopie der Röhrenkanne aus dem Grab der keltischen Fürstin von Reinheim aus der Frühlatènezeit.

Zum Grab der keltischen Fürstin:
Im Jahre 1954 wurde in Reinheim im Bereich des am Fuße des "Homerich" im Tal gelegenen sogenannten "Katzenbuckels" das Hügelgrab mit der Grablege einer keltischen Fürstin gefunden und ergraben [1 (A)]. Zusammen mit zwei unmittelbar benachbarten Großgrabhügeln [2 (B), 3 (C)] und weiteren Bestattungen im Bereich der späteren römischen Villa (Fluren "Allmend" und "Auf dem Sand") bildet es eine große eisenzeitliche Nekropole, welche von der Hallstatt- (8. bis 5. Jh. v. Chr.) bis in die Latènezeit (5. bis 1 Jh. v. Chr.) genutzt wurde und somit eine Belegungszeit von ca. 500 Jahren aufweist. Das Grab der Keltin - aufgrund der Beigaben (beidseitiges Tragen von Armringen und fehlende Waffen) ist die Grablege als Frauengrab gesichert - gilt als das bisher wohl reichste Fürstinnengrab der Frühlatènezeit in Mitteleuropa. Die Fürstin wurde gegen 370 v. Chr. bestattet.
Der Grabhügel war ehemals durch einen 0,60 m breiten und 0,40 cm tiefen Kreisgraben von 20 m Innendurchmesser begrenzt, welcher den heiligen Bezirk der Grabstätte von der profanen Außenumgebung abtrennte. Die noch durch Holzspuren nachweisbare, einen halben Meter in die Erde eingetiefte Eichenholzkammer von 3,5 x noch 2,70 m Größe wurde ehemals durch einen aus Erde und Rasensoden aufgeschütteten Grabhügel von 23 m Durchmesser und ca. 5 m Höhe geschützt (weithin sichtbares Grabmonument). Ihre Höhe wird mit ca. 0,90 bis 1,20 m rekonstruiert. Das Skelett war aufgrund der Kieselsäure im anstehenden Sandboden vollständig vergangen - der Befund ließ sich aufgrund der Position von den reichen Schmuck- und Trachtelementen (Hals- und Armringe) genau ermitteln: Die Tote war in NNW(Kopf)-SSO-Orientierung in gestreckter Rückenlage bestattet worden. Neben anderem Schmuck wie Goldscheibenfibeln, goldenen Arm-, Finger- und Halsringen und Amulettanhängern, gehören auch bronzenes Geschirr und Gefäße zu den Funden.

Zur Kanne:
Die Röhrenkanne zählt vom Trinkgeschirr zu den Prunkstücken des Grabensembles, "die sich in ihrer figürlichen Gestaltung und eingravierter Ornamentik als ein Meisterwerk keltischer Handwerksarbeit darstellt" (Reinhard). Sie wurde aus zahllosen Bronzeblechfragmenten über einem Plexiglas-Kern durch das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz wieder zusammengesetzt, wobei jedoch insbesondere im Bauchbereich Stellen fehlen. Dennoch dürften die Wandungskurve sowie das Höhenmaß von 51,4 cm und der Bauchdurchmesser von 23,2 cm korrekt rekonstruiert sein.
Der Kannenkörper ist aus zwei gegossenen und getriebenen Blechen zusammengesetzt, der Fuß und der Hals sind als Einzelteile zuvor zusätzlich auf der Drehbank nachgedreht worden. Der Boden besteht aus einer kreisrunden Scheibe mit einem Zentralniet, die Ausgussröhre aus einem zylindrisch gebogenen Blech, der figürlich verzierte Henkel wurde in verlorener Form über einen Kern gegossen und ebenso wie der figürlich verzierte Deckel mit seiner separat gegossenen Deckelfigur (in Imitation etruskischer Schnabelkannen) angefügt. Die Montage der Teile erfolgte mittels Nietung und Lötung. Neben den Mittel- und Randzonen des schlanken Kannenkörpers sind der Deckel und der Ausguss sowie die Bodenplatte, von griechischer Pflanzenornamentik inspiriert, mit fein gravierten Ranken- und Spiralmustern überzogen. Die Gravuren wurden teils mit Hilfe mechanischer Instrumente wie dem Zirkel (Kreise), teils freihändig ausgeführt (Blattformen der Blüten). Der Henkelgriff endet am oberen Griffansatz in einer bärtigen Maske des Dionysos Lenaios mit darunter sitzendem Widderkopf und schließt nach unten in einer Attasche mit Satyrmaske über einem spiralartig verzierten Blatt ab. Die Darstellung solcher Köpfe - für die Kelten war der Kopf als Sitz des Lebens von besonderer Bedeutung - ist ein Hauptmotiv frühkeltischer Kunst. Als Griff des Kannendeckels diente ein separat gegossenes Fabeltier in Form eines menschengesichtigen Pferdchens. Sein Kopf zeigt einen langen Schnurrbart, einen spitzen Kinnbart und deutlich konturierte, bogenförmig geschwungene Augenbrauen über mandelförmigen, von Perlenschnüren gefassten Augen. Die Ohren sollen vermutlich eine aus den zweigeteilten Blättern der Mistel gefertigte Blattkrone darstellen.

Wie durch Weinstein nachgewiesen konnte, war die Kanne zum Zeitpunkt ihrer Deponierung im Grab mit (importiertem) Traubenweingefüllt. Die Kanne wurde zusammen mit den goldenen Beschlägen zweier Trinkhörner und zwei flachen Bronzebecken gefunden - im östlichen Bereich der Grabkammer war das Trinkservice eines nach griechisch-etruskischer Sitte vollzogenen Symposions (Festgelage mit Wein, Unterhaltung, Tanz, Musik und Weinspende an Dionysos) für zwei Personen aufgebaut worden. Diese von der keltischen Führungsschicht übernommenen Trinksitten waren in sepulkralem Zusammenhang mit Unsterblichkeitserwartungen verbunden, welche in religiösen Vorstellungen des Vorderen Orients wurzelten.

Bronzene Röhrenkannen sind (neben den sog. keltischen [Schnabel-]Kannen) zwar in Anlehnung an die seit der Endhallstattzeit importierten etruskischen Schnabelkannen, aber formal als eigenständige keltische Schöpfung, in der Früh-La-Tène-Zeit entstanden. Ihre Grundform stimmt mit zeitgleichen bauchigen Tongefäßen der Champagne und der westlichen Hunsrück-Eifel-Kultur überein. Die Verbreitung früh- und mittellaténezeitlicher Röhrenkannen aus Metall reicht von der Champagne bis ins Rheintal und den unteren Neckarbereich; diejenige von tönernen und bronzebeschlagenen hölzernen Röhrenkannen (Nachahmungen) bis nach Böhmen und Österreich.

Literatur

Reinhard, Walter: Die keltische Fürstin von Reinheim, Blieskastel, 2004, S. 55-61, Abb. Nr. 85-89
Reinhard, Walter: Kelten, Römer und Germanen im Bliesgau (=Denkmalpflege im Saarland, 3), Reinheim, 2010, S. 178-198, Abb. Nr. 182-185
Echt, Rudolf: Das Fürstinnengrab von Reinheim. Studien zur Kulturgeschichte der Früh-La-Tène-Zeit (=Blesa - Publication du Parc archeeologique europeen de Bliesbruck-Reinheim, 2), Bliesbruck-Reinheim, 1999, S. 115-122, Abb. Tafel 19-23