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Zange

Europäischer Kulturpark Reinheim


Herstellung: von bis

Merkmale

Inventarnummer:
2013REI0426
Anzahl:
1 Stück
Objektbezeichnung:
Zange
weitere Objektbezeichnung:
Kastrationszange
Sachgruppe:
Material:
Technik:
geschliffen
Maße:
Gesamt: L: 16 cm

Beschreibung

Kastrationszange.

Die Kastrier- oder Kastrationszange ist aus Eisen und hat eine Länge von 16 cm. Sie wurde im Zuge der Ausgrabungen im Bereich des Wirtschaftshofes (pars rustica/Nebengebäude) der römischen Villa von Reinheim gefunden und diente der Kastration von Nutztieren des Hofes.

Kastrationszangen gehören zum Typ der "schneidenden/trennenden Zangen" - die bei dem vorliegenden Exemplar verwendete Gelenkkonstruktion entspricht einem sog. aufgelegten Gewerbe, der Grundform des Zangengelenks, bei dem die Zangenschenkel einfach nur übereinander gelegt und mit einem Gelenkbolzen verbunden werden. Die Schneiden nehmen etwa ein Drittel der Länge des Werkzeugs ein, sitzen jedoch nicht - von den Griffen her betrachtet - am gegenüberliegenden Ende des Gelenkes, sondern vor diesem. Einer der Schneiden besitzt eine kreisrunde Bohrung. Das Gelenk selbst wurde durch die beiden an dieser Stelle verdickten Schenkelenden und - wie oben erwähnt -einem verbindenden Eisenbolzen gebildet und saß demnach ganz am Rand der Zange.
Das Objekt weist stärkere Korrosionsspuren auf - durch die Rostbildung ist die obere Metallschicht abgeplatzt. Die Zange ist in zwei Teile zerbrochen und ist an einer weiteren Stelle eingerissen. Es kann nur allgemein in die Römische Kaiserzeit bzw. die Hauptnutzungsphase der Villa datiert werden: 2. H. 1. Jh. bis Mitte 4. Jh. n. Chr.

Zu Kastration:
Allgemein versteht man unter einer Kastration (von lat. castrare "kastrieren", auch "schwächen, berauben") die Entfernung der Keimdrüsen (Gonaden) bei Menschen und Tieren.
Die Kastration an Männern wurde in der gesamten Geschichte der Menschheit in vielen Völkern und Kulturen durchgeführt: An besiegten Feinden und Kriegsgefangenen zur Demütigung und Machtdemonstration, und an Sklaven, welche keine Nachkommen zeugen oder als Eunuchen einen Harem bewachen sollten. Neben Unfruchtbarkeit und Demütigung sollte eine Kastration auch eine höhere Fügsamkeit bewirken: der Verlust der Hoden erzielt bei Mensch und Tier eine starke Reduzierung des Testosterons, wodurch die Aggressionsbereitschaft nachlässt. Die seit der Jungsteinzeit (Bandkeramische Kultur, 5600 v. Chr.) belegte Kastration von Stieren beseitigte ihre Aggressivität und machte deren große Kraft lenk- und nutzbar.

Zu Zangen:
Eine Zange ist ein zweischenkliges Werkzeug, bei dem die Wirkstellen (Schneiden u.a.) gegenläufig auf das Werkstück fixierend oder bearbeitend einwirken. Im Unterschied zur Schere gleiten diese jedoch in der Regel nicht aneinander vorbei. Zangen bestehen in der Regel aus drei Bereichen: Griffe, Gelenk (Gewerbe) und Zangenkopf (mit den Wirkstellen - im vorliegenden Fall Schneiden). Sie funktionieren nach dem Hebelprinzip, wobei zwei zweiseitige Hebel sind miteinander durch ein Gelenk verbunden sind. Normalerweise bilden dabei die Griffe als die längeren Hebelarme den Kraftarm, die kürzeren Hebelarme als Lastarm den Zangenkopf. Nach dem Hebelgesetz wird die auf die Griffe aufgebrachte Kraft umgewandelt und durch den Zangenkopf auf das zu bearbeitende Werkstück übertragen. Die Kraft in den Backen oder Schneiden, die beim Zusammendrücken der Griffe eine greifartige Bewegung ausführen, vergrößert sich mit dem Übersetzungsverhältnis. Die ältesten Zangen dienten vermutlich dem Greifen und Bewegen von heißen Gegenständen (Kohlen, Schmelztiegeln, Schmiedeteilen). Zu den frühesten bekannten Darstellungen zählen griechische Vasenmalereien, die Zangen als Attribut des griechischen Schmiede- und Feuergottes Hephaistos zeigen.

Zur Villa:
Die Villa wurde in der Mitte des 1. Jh. n. Chr. ca. 300 m nördlich des kurz zuvor entstandenen vicus von Bliesbruck über einer Nekropole aus der späten Bronze- und Eisenzeit errichtet. Das ländliche Domizil weist eine Gesamtgröße von 7 ha auf und gliedert sich in einen herrschaftlichen Wohnbereich (pars urbana) mit Hauptgebäude und ein längsaxiales, von einer Mauer umschlossenes Hofareal (pars rustica)mit zwölf Wirtschaftsgebäuden. Dies entspricht einem charakteristischen Bautypus der gallischen und germanischen Provinzen, welcher im römischen Mutterland nicht vorkommt und auf einheimisch-keltische Traditionen zurückgeht. Bisher sind über 130 solcher Villenanlagen bekannt. Die Villa von Reinheim überragt die anderen lokalisierten Anwesen der Umgebung an Größe und Repräsentation und streicht so den privilegierten Status seiner Erbauer heraus (soziale Oberschicht Ostgalliens). Nach teilweiser Zerstörung und einem erweiterten Wiederaufbau zu Ende des 2. Jh. n. Chr. erreichte die Anlage ihren repräsentativsten und herrschaftlichsten Charakter. Durch die Germaneneinfälle in der zweiten Hälfte des 3. Jh. und der Mitte des 4. Jh. n. Chr. erfuhr die Villa zunächst Funktionsänderungen, bevor sie nach Zerstörungen ganz aufgegeben wurde.
Der mauerumstandene Wirtschaftshof schloss sich südlich an das Hauptgebäude an, maß 300 x 135 m und nahm eine Fläche von 4,5 ha ein. Während sich an den Längsseiten parallel zueinander die jeweils sechs Nebengebäude reihten, befand sich in der Mittelachse im Süden ein Torhaus (Gebäude B1 - B13).

Literatur

Stinsky, Andreas: Die Villa von Reinheim. Ein ländliches Domizil der gallo-römischen Oberschicht, Mainz, 2016, S. 39-75
Sarateanu-Müller, Florian: Die Villenanlage von Reinheim (=Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim. 2500 Jahre Geschichte. Dossiers d'Archéologie, Sonderheft Nr. 24), 2013