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Fibel

Europäischer Kulturpark Reinheim


Herstellung: von bis

Merkmale

Inventarnummer:
2013REI0371
Anzahl:
1 Stück
Objektbezeichnung:
Fibel
weitere Objektbezeichnung:
Scharnierfibel mit ungeteiltem Bügel/Scharnierflügelfibel
Sachgruppe:
Kleidung (Zubehör, Fibeln)
Technik:
gegossen
Maße:
Gesamt: L: 5,5 cm

Beschreibung

Scharnierfibel mit ungeteiltem Bügel/Scharnierflügelfibel (Hülsenscharnierfibel).

Die Fibel wurde im Zuge der Ausgrabungen im Bereich der Villa rustica in Reinheim gefunden.

Charakteristische Merkmale von "Scharnierfibeln mit ungeteiltem Bügel" (Riha) sind ein massiv gegossener Bügel, der am Fibelkopf scharf umbiegt und im weiteren Verlauf ungeteilt in einem zumeist asymmetrisch gespannten Bogen mit einem - nach dem Vorbild der Aucissafibel separat gearbeiteten und aufgesteckten - vollrunden Fußknopf, der allerdings hier abgeflacht und linsenförmig ist, abschließt. Die Kopfplatte kann glatt oder mit ein bis zwei Querleisten profiliert sein. Alle diese Fibeln waren auf der Oberseite verzinnt. Die Hülse des Scharniers wird aus dem zu zwei rechteckigen Lappen ausgezogenen Bügel-/Halses gebildet - die Lappen werden zu zwei Blechröhren eingerollt, zwischen denen sich ein Schlitz befindet. Die Nadel mit gelochtem Kopf wird in den Schlitz eingesetzt und mit einer Achse arretiert.

Das vorliegende Exemplar besitzt seitlich des Bügelkopfes zwei knopfartige, reliefierte und gekerbte Fortsätze. Es kann wegen ihrer Bügelform zwar zu dem erstgenannten Typ gerechnet werden, die seitlichen Fortsätze am Bügelkopf erinnern jedoch deutlich an Scharnierflügelfibeln des Typs Riha 5.7. Deshalb ist sie als Mischform anzusehen (vgl. Riha Nr. 943). Der Bügel verjüngt sich stark zur Fußspitze hin, ist mit einer erhöhten längsorientierten Mittelleiste zwischen zwei Rillen verziert und besitzt als Ränder zwei ausgeprägte, gekerbte Längskanten. Die Kopfplatte ist unprofiliert und verbreitert sich beilförmig zum Scharnier, welches aus dem nach oben gerollten Bügel-/Kopfplattenende gebildet wird, hin. Der Nadelhalter ist trapezförmig und gefüllt.
Die Fibel weist leichte Korrosionsspuren auf - größere Teile der Verzinnung, die Nadel und der ursprünglich aufgesteckte Fußknopf fehlen. Ansonsten ist das Objekt gut erhalten.

Die Fibel entspricht einer Mischform aus den Typen Riha 5.7 (Scharnierflügelfibel, etwa die Nrn. 838, 845) und 5.9 (Scharnierfibel mit ungeteiltem Bügel, ähnlich Nr. 943); Ettlinger, Typ 100; Heynowski, Typ 4.3.3 (Scharnierflügelfibel) und Typ 4.3.4 (gestreckte Scharnierfibeln mit profiliertem Bügel).
Nach Riha gehören Fibeln dieses Mischtyps in das zweite Viertel des 1. Jh. n. Chr. (claudisch), Scharnierfibel mit ungeteiltem Bügel insgesamt ins 1. Jh. n. Chr. Sie waren vorwiegend in Nordgallien, Britannien, den Germanischen Provinzen und im Bereich der heutigen Schweiz verbreitet. Scharnierflügelfibeln datiert auch Heynowski ins 1. Jh. n. Chr.

Bei Fibeln handelt es sich um Gewandspangen - mit ihnen wurden in der Antike Gewänder zusammengehalten. Sie gehörten sowohl bei Frauen als auch bei Männern zur alltäglichen Tracht und fanden dementsprechend allgemeine Verbreitung. Über ihre rein praktische Funktion hinaus waren sie in ihren stilistischen Ausformungen nach Typ und Aussehen wechselnden Modeerscheinungen unterworfen, weshalb sie sich sehr gut zur Datierung entsprechender Fundschichten und Fundzusammenhänge eignen.

Zur Villa:
Die Villa wurde in der Mitte des 1. Jh. n. Chr. ca. 300 m nördlich des kurz zuvor entstandenen vicus von Bliesbruck über einer Nekropole aus der späten Bronze- und Eisenzeit errichtet. Das ländliche Domizil weist eine Gesamtgröße von 7 ha auf und gliedert sich in einen herrschaftlichen Wohnbereich (pars urbana) mit Hauptgebäude und ein längsaxiales, von einer Mauer umschlossenes Hofareal (pars rustica)mit zwölf Wirtschaftsgebäuden. Dies entspricht einem charakteristischen Bautypus der gallischen und germanischen Provinzen, welcher im römischen Mutterland nicht vorkommt und auf einheimisch-keltische Traditionen zurückgeht. Bisher sind über 130 solcher Villenanlagen bekannt. Die Villa von Reinheim überragt die anderen lokalisierten Anwesen der Umgebung an Größe und Repräsentation und streicht so den privilegierten Status seiner Erbauer heraus (soziale Oberschicht Ostgalliens). Nach teilweiser Zerstörung und einem erweiterten Wiederaufbau zu Ende des 2. Jh. n. Chr. erreichte die Anlage ihren repräsentativsten und herrschaftlichsten Charakter. Durch die Germaneneinfälle in der zweiten Hälfte des 3. Jh. und der Mitte des 4. Jh. n. Chr. erfuhr die Villa zunächst Funktionsänderungen, bevor sie nach Zerstörungen ganz aufgegeben wurde.
Das Hauptgebäude weist einen H-förmigen Grundriss auf, erstreckt sich über 80 x 60 m und verfügte in seiner größten Ausbauphase im frühen 3. Jh. n. Chr. allein im Erdgeschoss über 50 Räumlichkeiten, die zusammen mit Gängen und Portiken eine Fläche von 2.550 m² einnahmen.
Der mauerumstandene Wirtschaftshof schloss sich südlich an das Hauptgebäude an, maß 300 x 135 m und nahm eine Fläche von 4,5 ha ein. Während sich an den Längsseiten parallel zueinander die jeweils sechs Nebengebäude reihten, befand sich in der Mittelachse im Süden ein Torhaus (Gebäude B1 - B13).

Literatur

Riha, Emilie: Die römischen Fibeln aus Augst und Kaiseraugst, 1979, S. 133f, Abb. Tafel 35, Werkverzeichnis Nr. 943
Heynowski, Ronald: Fibeln. erkennen - bestimmen - beschreiben (=Bestimmungsbuch der Archäologie, 1), Berlin - München: Deutscher Kunstverlag, 2012, S. 134
Stinsky, Andreas: Die Villa von Reinheim. Ein ländliches Domizil der gallo-römischen Oberschicht, Mainz, 2016
Sarateanu-Müller, Florian: Die Villenanlage von Reinheim (=Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim. 2500 Jahre Geschichte. Dossiers d'Archéologie, Sonderheft Nr. 24), 2013