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Fibel

Europäischer Kulturpark Reinheim


Herstellung: von bis

Merkmale

Inventarnummer:
2013REI0368
Anzahl:
1 Stück
Objektbezeichnung:
Fibel
weitere Objektbezeichnung:
Hülsenscharnierflügelfibel
Sachgruppe:
Kleidung (Zubehör, Fibeln)
Material:
Technik:
gegossen
Maße:
Gesamt: L: 4 cm

Beschreibung

Scharnierflügelfibel (Hülsenscharnierfibel).

Die Fibel wurde im Zuge der Ausgrabungen im Bereich der Villa rustica in Reinheim gefunden.

Das charakteristische Merkmal dieser Fibelgruppe sind zwei (oder ausnahmsweise vier) vom Bügel seitlich abstehende flügel- oder knopfartige Fortsätze, welche sich auf beiden Seiten quer zum Bügel an dessen breitester Stelle befinden. Im Unterschied zu Knöpfen, die separat gearbeitet und aufgesteckt wurden, sind diese Fortsätze mit dem Bügel in einem Stück gegossen. Der Kopf wird stets durch ein breites Hülsenscharnier eingenommen. Wahrscheinlich waren alle Flügelfibeln ursprünglich verzinnt. Reste davon haben sich an den meisten Exemplaren erhalten (Riha). Die Hülse des Scharniers wird aus dem zu zwei rechteckigen Lappen ausgezogenen Bügel-/Halses gebildet - die Lappen werden zu zwei Blechröhren eingerollt, zwischen denen sich ein Schlitz befindet. Die Nadel mit gelochtem Kopf wird in den Schlitz eingesetzt und mit einer Achse arretiert.
Die Fibel besitzt einen nur mäßig gewölbten, zur Kopfplatte stark umknickenden, sich zum Kopf hin trapezförmig verbreiternden Bügel (möglich sind auch rechteckige und scheibenförmig runde Formen) und schließt mit zwei seitlichen Fortsätzen T-förmig ab. Die Verzierung selbst beschränkt sich auf die längsgerichtete Profilierung aus mehreren Bügelrinnen und -riefen (drei breite Leisten im Trapezfeld und eine Randleiste auf jeder Seite). Während der Fuß bei Scharnierflügelfibeln mehrheitlich schmal und querprofiliert ist, weist das vorliegende Exemplar eine der selteneren schnabelförmigen Verbreiterungen auf. Der Nadelhalter ist trapezförmig und mehrfach kreisförmig bzw. schlüssellochförmig durchbrochen.
Das Objekt weist leichte Korrosionsspuren auf - die Nadel fehlt zu einem Teil. Ansonsten ist die Fibel gut erhalten.
Nach Riha und Heynowski gehören Fibeln dieses Typs in das 1. Jh. n. Chr. und waren insbesondere in den nordwestlichen römischen Provinzen (Gallien, Germanien, Britannien) verbreitet.
Die Fibel entspricht dem Typ Riha 5.7.3 (Scharnierflügelfibel mit T-förmigem, profiliertem Bügel), etwa die Nrn. 845/6, mit dem steilen Hals von 834/36 und einem anderen Fuß; genereller: Ettlinger, Typ 34; Heynowski, Typ 4.3.3 (Scharnierflügelfibel).

Bei Fibeln handelt es sich um Gewandspangen - mit ihnen wurden in der Antike Gewänder zusammengehalten. Sie gehörten sowohl bei Frauen als auch bei Männern zur alltäglichen Tracht und fanden dementsprechend allgemeine Verbreitung. Über ihre rein praktische Funktion hinaus waren sie in ihren stilistischen Ausformungen nach Typ und Aussehen wechselnden Modeerscheinungen unterworfen, weshalb sie sich sehr gut zur Datierung entsprechender Fundschichten und Fundzusammenhänge eignen.

Zur Villa:
Die Villa wurde in der Mitte des 1. Jh. n. Chr. ca. 300 m nördlich des kurz zuvor entstandenen vicus von Bliesbruck über einer Nekropole aus der späten Bronze- und Eisenzeit errichtet. Das ländliche Domizil weist eine Gesamtgröße von 7 ha auf und gliedert sich in einen herrschaftlichen Wohnbereich (pars urbana) mit Hauptgebäude und ein längsaxiales, von einer Mauer umschlossenes Hofareal (pars rustica)mit zwölf Wirtschaftsgebäuden. Dies entspricht einem charakteristischen Bautypus der gallischen und germanischen Provinzen, welcher im römischen Mutterland nicht vorkommt und auf einheimisch-keltische Traditionen zurückgeht. Bisher sind über 130 solcher Villenanlagen bekannt. Die Villa von Reinheim überragt die anderen lokalisierten Anwesen der Umgebung an Größe und Repräsentation und streicht so den privilegierten Status seiner Erbauer heraus (soziale Oberschicht Ostgalliens). Nach teilweiser Zerstörung und einem erweiterten Wiederaufbau zu Ende des 2. Jh. n. Chr. erreichte die Anlage ihren repräsentativsten und herrschaftlichsten Charakter. Durch die Germaneneinfälle in der zweiten Hälfte des 3. Jh. und der Mitte des 4. Jh. n. Chr. erfuhr die Villa zunächst Funktionsänderungen, bevor sie nach Zerstörungen ganz aufgegeben wurde.
Das Hauptgebäude weist einen H-förmigen Grundriss auf, erstreckt sich über 80 x 60 m und verfügte in seiner größten Ausbauphase im frühen 3. Jh. n. Chr. allein im Erdgeschoss über 50 Räumlichkeiten, die zusammen mit Gängen und Portiken eine Fläche von 2.550 m² einnahmen.
Der mauerumstandene Wirtschaftshof schloss sich südlich an das Hauptgebäude an, maß 300 x 135 m und nahm eine Fläche von 4,5 ha ein. Während sich an den Längsseiten parallel zueinander die jeweils sechs Nebengebäude reihten, befand sich in der Mittelachse im Süden ein Torhaus (Gebäude B1 - B13).

Literatur

Riha, Emilie: Die römischen Fibeln aus Augst und Kaiseraugst, 1979, S. 124-128, Abb. Tafel 31, Werkverzeichnis Nr. 845/6 mit anderem Fuß
Heynowski, Ronald: Fibeln. erkennen - bestimmen - beschreiben (=Bestimmungsbuch der Archäologie, 1), Berlin - München: Deutscher Kunstverlag, 2012, S. 134, Abb. Nr. 4.3.3
Stinsky, Andreas: Die Villa von Reinheim. Ein ländliches Domizil der gallo-römischen Oberschicht, Mainz, 2016
Sarateanu-Müller, Florian: Die Villenanlage von Reinheim (=Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim. 2500 Jahre Geschichte. Dossiers d'Archéologie, Sonderheft Nr. 24), 2013